Was ist Bildlichkeit? Wo liegen ihre Grenzen? Wie verhält sich Bild zu Raum? Verändert das Bild den Raum, oder der Raum das Bild? Wie definiert sich Bild-Raum, wie Raum-Bild?
Der Zürcher Künstler Pietro Mattioli setzt sich in seiner Ausstellung “Bilder & Serien” mit Fragen der Bildlichkeit in Spannungsfeldern von Flächen und Tiefen, Innen und Aussen auseinander, lotet subtil Grenzen zwischen ikonographischem Einzelbild und übergeordneter Serie aus.
Die Funktion des Rahmens wird bei Mattioli wichtig, betont die Isolation des Motives innerhalb des Bildes, schafft eine innere Grenze oder versetzt den Bildraum in eine Atmosphäre der Beengtheit oder der Geborgenheit, der Distanzierung oder der besonderen Zuwendung.
Wenn Mattioli das Bild aber um seinen Rahmen erleichtert, direkt auf die Wand appliziert oder es wie eine Plastik auf einem Sockel erhebt, stellt er gewohnte Zuordnungen und klassische Sehgewohnheiten infrage. Durch seinen subtilen Umgang mit Bild im Raum wird dieser in seinen Koordinaten neu konstituiert:
Wand- und Bildfläche verschränken sich, bilden eine Einheit – Raum wird flächig, Fläche wird räumlich.
Vor unseren Augen ziehen in symmetrisch applizierter Gitterstruktur die “Stations of the Cross” vorbei – sie kokettieren mit dem unverwandten Blick aus der Ferne, verbinden sich mit dem Raum, kippen ins bodenlose. Beim Nähertreten
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Was ist Bildlichkeit? Wo liegen ihre Grenzen? Wie verhält sich Bild zu Raum? Verändert das Bild den Raum, oder der Raum das Bild? Wie definiert sich Bild-Raum, wie Raum-Bild?
Der Zürcher Künstler Pietro Mattioli setzt sich in seiner Ausstellung “Bilder & Serien” mit Fragen der Bildlichkeit in Spannungsfeldern von Flächen und Tiefen, Innen und Aussen auseinander, lotet subtil Grenzen zwischen ikonographischem Einzelbild und übergeordneter Serie aus.
Die Funktion des Rahmens wird bei Mattioli wichtig, betont die Isolation des Motives innerhalb des Bildes, schafft eine innere Grenze oder versetzt den Bildraum in eine Atmosphäre der Beengtheit oder der Geborgenheit, der Distanzierung oder der besonderen Zuwendung.
Wenn Mattioli das Bild aber um seinen Rahmen erleichtert, direkt auf die Wand appliziert oder es wie eine Plastik auf einem Sockel erhebt, stellt er gewohnte Zuordnungen und klassische Sehgewohnheiten infrage. Durch seinen subtilen Umgang mit Bild im Raum wird dieser in seinen Koordinaten neu konstituiert:
Wand- und Bildfläche verschränken sich, bilden eine Einheit – Raum wird flächig, Fläche wird räumlich.
Vor unseren Augen ziehen in symmetrisch applizierter Gitterstruktur die “Stations of the Cross” vorbei – sie kokettieren mit dem unverwandten Blick aus der Ferne, verbinden sich mit dem Raum, kippen ins bodenlose. Beim Nähertreten und Abschreiten des Kreuzweges erscheint die abstrakte und symmetrische Geometrie der Ornamentik – ihre Kanten und Flächen springen vor und zurück, irritieren den Blick. Wie tief geht das Bild?
Davor öffnet sich die “Türe”. Die gerahmte und auf zwei Holzklötzen an die Wand gelehnte Fotografie gibt den Blick frei in einen Bildraum, der mit seiner streng komponierten Lilienführung schüchterne Einblicke gewährt, das Gefühl von Intimität vermittelt und Neugier weckt. Was liegt hinter der Schwelle? Ist es aufregend, überraschend, geheim?
Und was geschieht hinter den verschlossenen Türen (“O.T. (Kain und Abel)”? Der beobachtende Blick verbleibt an den Oberflächen, Erwartungen prallen an den Fassaden ab. Wie das biblische Geschwisterpaar erscheinen die Schauseiten konkurrierend, eine um Schein, die andere um Sein werbend. Doch was verbirgt sich im Inneren? Können wir vom Äusseren auf das Innere schliessen?
Und nochmal stehen wir vor verschlossenen Türen (“Golden-gai” (Das Viertel Golden-gai ist der letzte ursprüngliche Bar-Distrikt Shinjukus in Tokyo).). Fünfundneunzig verriegelte Pforten und Tore, fünfundneunzig unerreichbare Welten trennen Realität und Hoffnung, Wünsche, Gedanken.
Gedanken sind frei. Wohin wandern sie? Sie treiben im Dunkeln durch die Nacht – finden Halt in den vielen “Lichtern”, die sich vor unserem Blick auftun, in den bunten Punkten, die als einziger Bildinhalt in den fünfzehn dunklen Bildräumen erscheinen und wie Kristalle aus dem Schwarz der Nacht aufleuchten, zweitausend Lichtjahre entfernt.
Und sie finden eine Antwort – als Nachbilder in unserem Kopf bahnen sich “schwarze Punkte” ihren Weg, überschreiten Grenzen. Wo enden sie? Dort, wo die Bilder enden?
Über ihren eigenen Bildraum hinweg, über das Passepartout hinweg, spuren sie sich ihre Bahn, begrenzt nur durch den Rahmen, der den Bildraum von der Realität trennt. Wenn die Bildhaftigkeit durch Bildgrenze und Bildfläche bestimmt wird, kann das Auge ihren möglichen Stellenwert ausserhalb der Bildgrenze ermessen?
Wir stehen vor der „letzten Buchseite“, die alles erklären, alles beenden sollte.
Die gerahmten Fotografien gehen mit ihren, die Fläche prägenden, horizontalen Bildgeraden, mit ihrer bildinternen schwarzen Rahmung auf Distanz. Sie verwehren uns eine inhaltlich Erklärung, beschreiben vielmehr einen Situationssplitter, in dem wir nur Zeuge des Endes der Geschichte werden. Wie sie wirklich verlief und was sie tatsächlich bedeutet, bleibt verborgen. Zusammenhänge bleiben rätselhaft, fragmentarisch.
“Aber du musst dich doch an ihn erinnern können, sagte Karl zu ihr. Ich kann mich an ihn erinnern, sagte ich. Ich werde irgendwann mal eine Geschichte für dich schreiben in der er vorkommt.”
Judith Ribbentrop